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Die Uhr schlägt 5 Uhr und 22 Minuten. Ich laufe wenige Schritte, weg vom Bahnhof, einfach irgendwohin. Soeben stehe ich inmitten der sandgrauen Landschaft der Innenstadt. Steinerne Löwen, Eulen, Frösche und Elefanten beobachten mich, wie ich inmitten der menschenleeren Straßen spaziere. Auf der Hinfahrt las ich, ehemals hingen die Kürschner ihre Pelzwaren aus den Fenstern. Ich stelle es mir vor, alle Mauern geschmückt mit kunterbunten Mähnen, wie aus einer Abenteuergeschichte. Der grellrote Neonmief einer Müllabfuhr lenkt mich ab. Ich bin in Leipzig.
Abseits der Architektur und der belebten Szene beherbergt die Stadt zahlreiche kunsthandwerkliche Einrichtungen, die für jedweden Grafiker von Interesse zu sein haben. Zu nennen sind unter anderen die belobte Hochschule für Grafik und Buchkunst, das Museum für angewandte Kunst im Grassi, und das vorliegende Sujet, den Grund meiner Anwesenheit: das Museum für Druckkunst Leipzig.
Geeignet ist der Besuch für Typographen, Illustratoren, Publizisten und Künstler — oder so gesagt: Menschen jeder Art, die eine offene Begeisterung für das Medium Druck mitbringen. Ich empfehle den Museumsbesuch auch jedem, der peripher etwas für folgende Themen übrig hat: Mechanik, Automatik, Industrie- und Arbeitsgeschichte, angewandte Physik. Auf drei Etagen können historische Maschinen, praktische Workshops und Ausstellungen zahlreicher Druckerzeugnisse erkundet werden.
Es ist Nachmittag. Im Gegensatz zu den frühmorgendlichen Straßen der Innenstadt ist es hier nicht still. Das ist gut. Es herrscht gewissermaßen eine Arbeitsatmosphäre, denn in den Räumen des Museums werden aktuelle Druckaufträge realisiert und Kurse veranstaltet. Ungenutzte Maschinen verfallen schnell, aber diese hier leben noch; den historischen Maschinen im Druckkunstmuseum tut die fortlaufende Nutzung gut. Aus diesem Grunde ist hier (fast!) alles anfassbar: Auf alten Flugblattdruckern konnte ich in Windeseile Parolen produzieren und fix in der Tasche verschwinden lassen. Noch schnell die Fingerkuppen von Farbresten reinigen, damit mir ja keiner auf die Spur kommt! Muss ja keiner wissen, dass es doch nur ein Klopse-Rezept war.
Gleich nebenan schläft ein wuchtige russische Dame. Hätte jemand gesagt, dies wäre ein ausgesondertes Teil einer sowjetischen Raumfahrtsmission — ich hätte es geglaubt. Hier werden einzelne Buchstaben zu einer Gesamtheit verbunden. A-m-e-l-i-e, steht da zuerst, die Einzelteile rauschen gleich einem Wasserfall herab, dann hält sie Ihren Namenszug als kleinen Stempel in der Hand: Amelie. Einige Minuten später sinke ich vor den tausendfach abgewetzten Schubladen eines Setzerschranks auf die Knie und fahre die Schilder ab, den Finger in der Luft folgend. Ich finde Sie wieder, all die Namen meiner tagtäglichen Begleiter, und lese sie, im Kopf die Stimme meines Typographie-Dozenten: Garamond. Didot. Zapfino. Futura. Trade. Univers.
Ein Mitarbeiter erzählt mir von seiner Ausbildung im traditionellen Familienunternehmen. Er ist ein Zeitzeuge, möchte man sagen. Es ist ein Fakt: Viele der reichhaltigen Facetten des Drucks sind bereits lange ausgestorben. Andere sind von Massenproduktion und Gewinnoptimierung dermaßen durchrationiert, dass es dem gemeinen Handwerker kaum gelingt, den überlebensgroßen Blechkameraden noch irgendetwas Menschliches abzuringen. Vielleicht freuen sich die überaus freundlichen Mitarbeiter des Museums gerade deshalb so sehr über das Interesse der Besucher. Die zwei Herren nahmen sich die Zeit, viele Exponate in Aktion zu zeigen und Hintergründe zu erläutern. Und so kam ich in den Besitz dieses famosen Abzugs. Auch ich sage: Danke!