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31 Frauen wurden 2021 in Österreich ermordet.
Eine FRA-Studie aus dem Jahr 2014 stellt fest:
“In Österreich hat jede 5. Frau (das heißt 20 Prozent der Frauen) seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. 15 Prozent der Frauen haben seit ihrem 15. Lebensjahr Stalking erlebt. Jede 3. Frau (exakt 35 Prozent) hat seit ihrem 15. Lebensjahr eine Form der sexuellen Belästigung erlebt. Psychische Gewalt durch ihren (Ex-)Partner haben 38 Prozent der Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr erlebt.”
Es handelt sich um untragbare Zustände. Viel schlimmer noch der Gedanke, dass jede statistische Zahl eine reale Frau repräsentiert, einen Menschen wie Du und ich. Jede Zahl eine gewaltvolle Tragödie, das hätte vermieden werden können. Das Leid der Frauen ist keine Meinungsangelegenheit, sondern ein bewiesenes, grauenhaftes Faktum. Doch noch immer herrscht allseits große Unsicherheit über das Thema. Um der Gewalt an Frauen endlich ein Ende zu setzen, braucht es Information, Aufklärung und Hilfsmaßnahmen.
"Wir fordern eine Sensibilisierung der Behörden im Umgang mit Gewalt an Frauen* durch eine verbesserte Ausbildung innerhalb der Polizei und Justiz sowie eine schnelle, einheitliche und opferschutzorientierte Vorgehensweise bei gefährdeten Frauen*, die sich hilfesuchend an die Behörden wenden. Die Fälle in der Vergangenheit zeigen, dass das für den Schutz von Frauen* unbedingt notwendig ist."
Frauenmorde stoppen!
— Darum haben der Verein Für Solidarität, der Kommunikationsdesigner Sebastian Fietz, der Production Designer Felix Wagner und ich eine Videokampagne erstellt, die das Behördenversagen in Österreich thematisiert. Ich bin stolz auf unsere Ausarbeitung und dankbar, dass ich diese zentrale Botschaft auf dem Weg in eine bessere Gesellschaft mitgestalten durfte. Im Folgenden ein Überblick über Gestaltungsfragen und den Prozess der Entwicklung.
Wir befinden uns in der digitalen Epoche, im Zeitalter der sozialen Medien.
Während viele positive Entwicklungen völlig unbemerkt vorbeiziehen, generieren mediale Gewaltfantasien und gezielte Desinformationen noch nie gesehene Aufmerksamkeit. Es ist keine neue Erkenntnis: die Anonymität digitaler Interaktionen kann dazu führen, dass die Hemmschwelle für den Konsum menschenverachtender Inhalte sinkt. Aus diesem Grund sind soziale Netzwerke dazu aufgerufen, ihre Inhalte stark zu moderieren.
Nun betrifft das angesprochene Thema des Femizids durchaus eine Gewaltthematik. Es ist in diesem Fall dennoch dringend erforderlich, die psychische und physische Realität des Femizids direkt anzusprechen, denn das ist das Ziel der Kampagne: Mitmenschen müssen darauf aufmerksam werden, wie schwer die Leben der betroffenen Frauen durch diese Zustände entgleisen, und wie wenig die Schutzberufenen verrichten, um den Missstand unserer Gesellschaft zu beheben. Es bestand die Gefahr, dass die Kampagne nie auch nur einen Menschen erreichte, würde die Veröffentlichung durch die oben beschriebenen Kontrollmaßnahmen der Plattformen verhindert. Aus diesem Grund war die Entwicklung einer Narration für das Wer ist die* Nächste? Projekt sehr anspruchsvoll: wie zeigt man psychischen Terror, Totschlag und Mord, ohne a) den Zuschauer zu verstören und b) vom Algorithmus sabotiert zu werden?
Der entwickelte Lösungsansatz besteht in der Abstraktion des Gewaltaktes. Die Verfremdung der Tat und die psychedelische Steigerung des Schmerzes, all diese Wahrnehmungen werden abstrahiert dargestellt. Eine Software mag die visuelle Brücke zwischen einem eskalierenden roten Dreieck und einem tödlichem Messerstoß nicht wahrnehmen — ein Mensch, von der Maschine apart durch seine Empathie — kann diese Brücke erkennen und verstehen. Nun soll die Abstraktion des Aktes an sich keinesfalls als besänftigen. Die psychischen Beeinträchtigungen aller Beteiligten, die Nutzlosigkeit der administrativen Entscheider, die tödlichen Verletzungen der Opfer; sie sind hässlich, schmerzhaft, entwürdigend, aber vor allem eines: real. Es musste eine Gestaltung erreicht werden, die Abstraktion und die echten Konsequenzen verbindet.
Man folgt der Eskalation bis zum Femizid am Beispiel eines weiblichen Hauptcharakters - die “graue Maus”, eine unter Tausenden. Der Zuschauer erlebt, wie der trunkene Partner während eines Streits zum fatalen Hieb ansetzt, während der Notruf vergeblich klingelt. Erst im Anschluss an die Tat erfahren wir, was zuvor geschah. Weder die Hausbesuche der missbilligenden Einsatzpolizei, noch die beharrlichen Versuche einer Strafverfolgung auf der Station und im Gericht hätten eine Rettung der Frau im entscheidenden Moment bewirken können. Die Teilnahmslosigkeit aller (nicht) Mitwirkenden gleicht einer Verurteilung. Die Erzählung endet mit dem Tod der Frau. Ein Tod von vielen. Der Verein Für Solidarität ruft auf: “Gewalt an Frauen* ist ein strukturelles Problem. Jedes Jahr müssen Frauen* sterben, weil Behörden versagen. Die Behördenkultur des Wegschauens muss endlich beendet werden!”
Der Mensch und die Farbe Rot sind seit Anbeginn aller Zeiten miteinander verbunden. Wir stammen aus einem blutroten Urschleim. Rotes Blut macht uns lebendig. Doch außerhalb? Rot ist eine Warnung: du stirbst. Es ist ernst. Blutende Wunden erkalten, der Körper wird grau. Das Blut trocknet schwarz. Diese Naturerfahrung legt den Grundstein für die Farbwelt im Wer ist die* Nächste? Projekt. Das Viereck aus Weiß, Grau, Schwarz und grellem Rot ist ein vielgenutztes Stilmittel in der Darstellung radikaler Inhalte und ermöglicht die zielgerichtete Blicklenkung des Zuschauers auf die extremsten Bildmomente. Die Inszenierung der Frau als “graue Maus” verhindert die rein äußerliche Stereotypisierung des Frauenopfers und der oft damit verbundenen Schuldumkehr. Sie ist umgeben von substanzlosen Räumen, steril, düster und haltlos. Wie ein Gefängnis zwängen die resolut gestrichenen Wände die Charaktere ein. Ein Raum ist wie der andere, und genauso auch das Verhalten der Beteiligten: generelles Desinteresse. Sie sind gesichtslos, feige und vollkommen unberührt von ihrem Schicksal. Die dunklen, kantigen Formen erwecken den Eindruck einer feindlichen Welt, in der jeder Versuch einer Annäherung misslingt. Nun, sie stirbt, ein rotes Mal kennzeichnet die Verstorbene. Es folgen weitere, so viele, dass das ganze Format in Totenmalen verschwimmt. Langsam distanziert sich der Blick des Zuschauers vom verblassenden Opfer, weil sie vergessen wird. Wie gesagt, eine von vielen — reine Statistik.
Der Animationsstil des Films spiegelt den turbulenten Niedergang der Hauptfigur wider. Es ist ein Abbild dessen, was täglich wieder und wieder passiert. Grobe Eindrücke erscheinen, bilden ein Gewebe, entarten und verschwinden. Zuvor habe ich per Bildschirmaufzeichnung meine digitalen Pinselstriche auf dem iPad dokumentiert. Die Animation erfolgte durch die Schichtung dieser Aufnahmen als Mattes in After Effects, sodass Subjekte und Objekte in einer Art erscheinen, die echte Bewegungen in Zielrichtung und Tempo imitieren. Das Ergebnis ist ein fiebriges Gebilde aus schnellen Augenblicken, hastig aneinandergereiht, schon wieder verwischt.
Sie sind nicht wahrnehmbar beim fließenden Betrachten des Films, doch pausiert man zwischen den Szenen, offenbaren sich symbolische Momente: die brutale Zerspaltung der Frau im Gewaltakt, oder der Polizist nicht im berufenen Sinne, sondern nur als “blaue Jacke”. Die Figur des Täters, schwarz und schemenhaft, entgeht durch diese Pinseltechnik einer eindeutigen Identifikation, stattdessen manifestiert er sich geisterhaft aus den Schatten und entschwindet ebenso formlos in die Dunkelheit, ungreifbar, obwohl er den Verantwortlichen doch durchaus bekannt ist.
Sehr geehrte*r Leser*in,
Ich möchte die Gelegenheit ergreifen und ein persönliches Nachwort zum Projekt hinterlassen. Die Möglichkeit, an einer so wichtigen und gerechten Botschaft mitarbeiten zu dürfen, bedeutet mir viel. Die Zeit und Mühen, die in die Produktion dieser Kampagne geflossen sind, waren sensibel und nicht selten trostlos. Ich freue mich über die Zusammenarbeit auf Augenhöhe, für das Vertrauen des Vereins Für Solidarität, und schaue mit Zuversicht in eine Zukunft, in der das Leben für Frauen gewaltfrei sein wird. Auch ich habe Gewalt erlebt. Auch ich tauche in einer Statistik auf. Auch mich haben Behörden im Stich gelassen. Auch ich möchte gewaltfrei leben.
Lasst uns zusammen weiter daran arbeiten.